Das Image der klassischen 40-Stunden-Woche wird immer schlechter. Die Wunscharbeitszeit vieler Beschäftigter in Österreich liegt längst bei einer Viertagewoche, wie Umfragen zeigen. Gerade junge Menschen sehen die 40-Stunden-plus-Woche kritisch; Babyboomer-Eltern, die Überstunden machen und am Rande des Burnouts sind, dürften da auch ein abschreckendes Beispiel sein. Aber auch in der Corona-Pandemie haben einige – mitunter in der Kurzarbeit – hinterfragt, ob sie danach überhaupt wieder Vollzeit arbeiten wollen.
Ihnen spielt nun das Ergebnis einer Langzeitstudie in die Karten. In Island wurde im Auftrag der Regierung eines der größten Experimente zur Viertagewoche durchgeführt, wissenschaftlich begleitet vom Thinktank Autonomy sowie der Gesellschaft für nachhaltige Demokratie (Alda). Von 2015 bis 2019 nahmen über 2.500 Beschäftigte am ersten Durchgang teil. Im zweiten Teil ab 2017 waren es über 400 Personen. Auch wenn das nach wenig klingt – für Island ist das erheblich. Immerhin liegt die Gesamtzahl der arbeitenden Bevölkerung bei etwa 200.000 Personen.
Bei den meisten von ihnen – etwas mehr als ein Prozent aller Beschäftigten – wurde die Arbeitszeit von 40 Stunden auf 35 oder 36 Stunden reduziert – bei gleichbleibendem Gehalt. Darunter waren Beschäftigte in klassischen 9-to-5-Jobs im Büro, Schichtarbeitende, aber auch Angestellte in Kindergärten, sozialen Einrichtungen und Spitälern.
Wohlbefinden und Produktivität stiegen
Und wie ging es den Arbeitskräften nun mit weniger Wochenstunden? Besser als sonst: Das generelle Wohlbefinden habe sich laut der Studie gesteigert, die Teilnehmenden berichteten von weniger Stress, mehr Zeit für Familie, Freunde und Freizeitgestaltung sowie von einem geringeren Risiko, in ein Burnout zu schlittern. Vor allem Alleinerziehende hätten profitiert, heben die Studienautoren hervor. Und Männer in heterosexuellen Beziehungsmodellen hätten sich mehr im Haushalt beteiligt, wenn sie weniger arbeiten. Ein Argument, das häufig im Zusammenhang mit der Vereinbarkeit von Familie und Arbeitszeiten gebracht wird.
Auch die Produktivität ist laut Studienbericht gleichbleibend gewesen oder gestiegen – Erkenntnisse, die auch andere Studien ergaben. Man versuchte Produktivitätseinbußen zu verhindern, indem die Arbeitsroutinen der Versuchsteilnehmer überarbeitet wurden. So gab es zum Beispiel kürzere Meetings, oder es wurden Termine und Aufgaben, die sich ersatzlos streichen ließen, gestrichen.
Auch bei Microsoft Japan ging man 2019 einen ähnlichen Weg. Ein Monat testeten die Beschäftigten eine Viertagewoche unter gewissen Rahmenbedingungen. So durften beispielsweise Besprechungen maximal 30 Minuten dauern, auch sollten mehr Videokonferenzen abgehalten werden, um lange Anfahrten zu vermeiden. Das schlug sich in den Zahlen nieder: Die erbrachte Leistung im Untersuchungszeitraum steigerte sich um knapp 40 Prozent – gemessen am Umsatz pro Kopf. Verglichen wurden die Werte mit jenen aus dem Monat des Vorjahrs. Die Mitarbeiter waren also weniger lang im Büro, schafften dafür aber mehr Arbeit. Und sie waren zufriedener.
Ähnlich war es bei einer Fondsgesellschaft in Neuseeland, wo die Beschäftigten versuchsweise 30 statt 37,5 Stunden arbeiteten. Auch hier fanden die Wissenschafter, die die Studie begleiteten, heraus, dass das Stresslevel sank, die Work-Life-Balance sich verbesserte und die Produktivität um 20 Prozent stieg.
Viertagewoche bleibt
Die isländischen Ergebnisse stellten laut den Studienautoren „bahnbrechende Beweise für die Effizienz einer Arbeitszeitreduzierung“ dar. Und diese dürfte für viele Beschäftigte in Island bleiben: Nach den Experimenten seien zwischen 2019 und 2021 zahlreiche neue Vereinbarungen zur Arbeitszeitreduktion in den Firmen getroffen worden. Laut Studienbericht haben mit Stand Juni 86 Prozent der arbeitenden Isländer den Job zugunsten weniger Arbeitszeit gewechselt oder zumindest Anspruch darauf. Laut einem Teilnehmer sei eine kürzere Arbeitszeit „die Zukunft – es gibt kein Zurück“.
Allerdings ist unklar, wie belastbar die Erkenntnisse sind, da unter den Studienautoren kein Ökonom vertreten ist. Zudem ist fraglich, ob die Ergebnisse auf größere Wirtschaftsstrukturen übertragbar sind.
Auch in Österreich – wo im Durchschnitt 36,4 Wochenstunden gearbeitet wird – experimentieren immer mehr Firmen mit einer reduzierten Arbeitszeit oder steigen ganz um. Etwa die Osttiroler Latschenölbrennerei Unterweger oder die Onlineagentur eMagnetix. Die SPÖ sowie Gewerkschaftsvertreter und die Arbeiterkammer fordern seit langem eine Viertagwoche mit nahezu gleichbleibendem Gehalt. Auch in der Pandemie wurde die Arbeitszeitreduzierung als Kriseninstrument gegen die Arbeitslosigkeit von Arbeitnehmervertretern diskutiert. Die Idee: Wenn viele Beschäftigte eines Unternehmens ihre Arbeitszeit auf beispielsweise 80 Prozent reduzierten, könnten für die gewonnenen Stunden neue Arbeitskräfte eingestellt werden.
Kritisch sehen das etwa die Wirtschaftsforschungsinstitute Wifo und IHS, Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung sind dagegen. Die Argumente der Gegner: zu teuer, eine Reduktion mit Lohnausgleich käme ja einer Gehaltserhöhung gleich. Es sei auch standort- und wohlstandsgefährdend. Und führe nicht automatisch zu mehr Jobs.
Auch Arbeitspsychologen kritisieren bei einer reduzierten Arbeitszeit immer wieder, dass sie die Gefahr berge, dass in weniger Zeit gleich viel wie in einer Vollzeitwoche gearbeitet und die Belastung der Beschäftigten steigen würde. Sicher dürfte aber sein, dass die Angestellten tendenziell glücklicher sein würden – und das kann sich auf viele unternehmensrelevante Faktoren wie Zufriedenheit, Mitarbeiterbindung und letztlich auch die Performance auswirken.