Der Tengelmann-Inhaber Karl-Erivan Haub ist seit über einer Woche am Matterhorn verschollen. Er ist mit seinem Hobby sicher keine Ausnahme unter den Top-Managern – Sensations-Suchender, „Sensation Seeker“.
Was sind nun die psychologischen Hintergründe eines solchen Verhaltens?
Grenzüberschreitung als „befreiendes Gefühl“
Höher, weiter, schneller. Viele Top-Manager streben heute auch in der Freizeit nach Heldentaten. Sie erklimmen höchste Gipfel, stählen ihre Körper für den Iron Man oder durchkreuzen die Weltmeere am Lenkdrachen auf dem Surfbrett. Ihr Leben besteht aus Selbstoptimierung, Drill und vermeintlich kalkulierten Risiken. Motto: No risk, no fun.
Doch warum bloß setzen sich Menschen, die im Beruf so große Verantwortung tragen, solch großen Risiken aus? Warum zieht es ausgerechnet Top-Manager und Unternehmer auch im Sport zu den Extremen? Für Jochen Schweizer hat das auch mit Zwängen zu tun und mit dem Wunsch, sie abzuschütteln. „Wenn wir über unsere Grenzen gehen, unsere Komfortzone verlassen, ist dies oftmals ein unglaublich befreiendes Gefühl“, schwärmt er.
Schweizer war einst Stuntman und Pionier unter Deutschlands Extremsportlern. Dann machte er das kalkulierte Risiko zu seinem Kerngeschäft. Die von ihm gegründete Unternehmensgruppe, die heute mehrheitlich zu ProSiebenSat.1 gehört, bietet Hunderte von unterschiedlichen Erlebnissen an – vom Flug am Drahtseil ins Alpental über Fahrten mit dem Rennbob bis zur Höhlenexpedition.
Heute arbeitet Schweizer auch als Motivationscoach und sagt Sätze wie: „Grenzen und Ängste existieren oft nur in unseren Köpfen.“ Viele Top-Manager haben in Schweizers Augen Charaktereigenschaften, die sie für die exzessive Ausübung von Sport besonders qualifizieren: „Mit der gleichen Konsequenz, mit der sie Unternehmen führen, führen viele auch sich selbst.“
„Sensation Seeker“ brauchen den Dopamin-Kick
Hartes Training, Drill und Disziplin sind das eine. Die Lust an Erregung ist das andere. Die trieb den Gründer von Virgin Records, Sir Richard Branson, noch im Alter von 61 Jahren. 2012 überquerte er als ältester Mensch den Ärmelkanal per Kite-Surfing.
Sie stachelt Manager-Bergsteiger wie Herbert Hainer, Kaspar Rohrsted oder René Obermann an. Und sie gibt dem Top-Berater der Boston Consulting Group, Hubertus Meinecke, den letzten Kick, wenn er bei brütender Hitze zu einem Ultramarathon in der Sahara startet.
„Sensation Seeker“ nennen Psychologen Menschen, die im Leben ständig nach neuen Reizen suchen, um glücklich zu sein. Sie lassen sich von Neugierde und Aufbruchslust zu immer neuen Orten und Menschen treiben – oder sie suchen im riskanten Sport das Abenteuer.
Wenn das Herz schneller schlägt, die körperliche Anspannung steigt, ein Sensation Seeker empfindet das als angenehm. Sein Körper schüttet dann vermehrt Dopamin aus, der Botenstoff verleiht ihm ein Glücksgefühl. Nur etwa jeder fünfte Mensch ist so gestrickt, dass er sein Erregungsniveau gerne hoch hält, haben Forscher herausgefunden. Wer zu dieser Minderheit gehört, entscheiden vor allem die Gene.